Herr Dr. Möritz, mit welchen Verletzungen kommen Kinder insbesondere zu dieser Jahreszeit in die Kinderklinik?
Dr. Rolf-Peter Möritz: Zum einen haben wir im Winter in der Kinderklinik natürlich Kinder mit Knochenbrüchen, insbesondere bei extremer Kälte und Glatteis. Aber wir haben auch immer noch die typischen saisonalen Verbrennungen und Verbrühungen. Sind das im Sommer eher Verletzungen am Grill oder der Feuerschale, kommen im Winterhalbjahr verstärkt kleine Patienten mit Verbrühungen durch heißen Tee oder Verbrennungen durch ungesicherte Kaminöfen.
Wir sehen Kinder mit sogenannten Latzverletzungen, die entstehen, wenn sie versuchen die Teetasse oder den Wasserkocher an der Schnur zu sich zu ziehen und sich die viel zu heiße Flüssigkeit eben übergießen. Auch beim Badewasser sollte immer die Temperatur mittels Badethermometer geprüft werden. Ein Kinderbad sollte nie so heiß sein, wie wir Erwachsene es vielleicht als angenehm empfinden.
Und zur Weihnachts- und Adventszeit sehen wir natürlich viele Kleinkinder, die durch Kerze, Adventskranz, Kamin oder Backofen Verbrennungen erlitten haben. So mancher Wohnungsbrand entsteht durch unbeaufsichtigtes, offenes Feuer. Im schlimmsten Falle kann es durch den Rauch zu einem sogenannten Inhalationstrauma kommen, welches oftmals tödlich ist.
An unserer Kinderklinik ist ja auch die Kinderschutzambulanz etabliert. Hier müssen wir immer wieder mögliche Fälle von Kindesmisshandlung mit der Folge thermischer Verletzungen diskutieren. Es gibt eine Dunkelziffer von bis zu zehn Prozent dieser Verletzungsart.
Wie viele Kinder mit Verbrennungen werden in der Detmolder Kinderklinik denn jährlich behandelt?
Dr. Möritz: In Detmold haben wir ungefähr 30 stationäre Behandlungsfälle pro Jahr. Das hört sich zunächst wenig an, aber es handelt sich hier ja auch um die schweren Fälle, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen. Kleinere Verbrennungen und Verbrühungen im Kindesalter kommen viel häufiger vor, doch wir als Krankenhausärzte sehen davon natürlich nur einen Bruchteil.
Es gibt auch auf schwere Brandverletzungen spezialisierte Kliniken und seit 1993 den Arbeitskreis „Das schwerbrandverletzte Kind“. Da bin ich von Anfang an dabei, weil wir uns auf dieser Fachebene interdisziplinär und im deutschen Sprachraum austauschen.
Welche Möglichkeiten der Behandlung von Verbrühungen oder Verbrennungen gibt es denn? Wann ist die Überweisung in ein spezialisiertes Zentrum notwendig?
Dr. Möritz: Wir haben an unserer Kinderklinik alle Möglichkeiten der speziellen Behandlung von Kindern mit thermischen Verletzungen, von der Erstbehandlung, der konservativen Therapie bis hin zu Hauttransplantationen und der Nachsorge, zum Beispiel der Versorgung mit Kompressionswäsche.
Schwer brandverletzte Kinder, diese Einteilung trifft zu, wenn mehr als 20 Prozent der Körperoberfläche von der Verbrennung betroffen sind, können bei uns primär versorgt und stabilisiert werden, um dann die Entscheidung für eine Verlegung in ein Zentrum für schwer brandverletzte Kinder zu treffen.
Welche Erste-Hilfe-Maßnahmen empfehlen Sie im Notfall und wann sollte man ins Krankenhaus fahren?
Dr. Möritz: Die oberste Regel ist – wie in jedem medizinischen Notfall – möglichst die Ruhe bewahren. Versuchen Sie, selbst möglichst ruhig zu bleiben und auch das verletzte Kind zu beruhigen. Eine Kühlung mit handwarmem Wasser sollte maximal zehn Minuten lang erfolgen. Bei einer Verbrühung sollte nasse Kleidung sofort entfernt werden, wohingegen sie bei einer massiven Verbrennung belassen werden sollte. Auf gar keinen Fall sollten „Hausmittelchen“ wie Mehl, Zahnpasta oder Öl auf die Wunde aufgetragen werden. Dazu findet man im Internet ja die abenteuerlichsten Sachen.
Bei größeren Verletzungen ist die Wahl des Notrufes 112 oder die direkte Fahrt in die Notaufnahme auf jeden Fall immer richtig. Kleiner Verbrennungen oder Verbrühungen kann auch der niedergelassene Kinderarzt gut behandeln.
Warum ist es Ihnen so wichtig, anlässlich des Aktionstages aufzuklären?
Dr. Möritz: Die Zahl der Grillverletzungen bei Kindern ist durch gute Präventionsarbeit in den letzten Jahren deutlich gesunken. Dennoch versorgen wir noch sehr häufig Kinder, die mit Haushaltsverbrühungen oder -verbrennungen zu uns kommen. Dazu muss man wissen, dass mehr als 60 Prozent der Unfälle bei Kindern im häuslichen Bereich passieren und besonders betroffen sind Säuglinge und Kleinkinder. Hier können wir es nur durch Aufklärung und Aufmerksamkeit gemeinsam schaffen, dass auch diese Zahlen weiter sinken. Sehr gute und wichtige Arbeit leistet hier zum Beispiel auch der Paulinchen e.V.
Zusammenfassend möchte ich an alle Eltern, Großeltern und eigentlich an alle Erwachsenen appellieren: „Setzen Sie die „Kinderbrille“ auf! Soll heißen: Schauen Sie doch Ihr Zuhause einmal aus der Perspektive eines Kindes an. Wo gibt es heiße Flüssigkeiten oder heiße Flächen, die gesichert werden müssen? Sie werden sich wundern, welche Gefahrenquellen Sie entdecken, wenn Sie sich einmal auf allen Vieren durch die Wohnräume bewegen. Versuchen Sie so, typische gefährliche Situationen zu erkennen und zu vermeiden. Aber rechnen Sie auch immer mit der Unberechenbarkeit kleiner Kinder.
Man muss sich auch klar machen, wie schnell so ein Verbrennungsunfall, zum Beispiel wenn das Kind ans heiße Ofenblech fasst, weil es die frisch gebackenen Plätzchen haben möchte. Ein kleiner Moment der Unaufmerksamkeit kann schwere und langwierige Folgen für das Kind und die Familie haben.
Auch ein Großbrand dauert nicht so lange, wie wir Laien oftmals annehmen. Laut Feuerwehr dauert es nur ungefähr 20 Sekunden bis ein trockener Weihnachtsbaum vollständig in Flammen steht. Und die Anzahl der Brände steigt in der Weihnachtszeit um circa 40 Prozent im Vergleich zum Rest des Jahres.
Vieles davon und insbesondere die Personenschäden können durch Achtsamkeit und kleine Maßnahmen vermieden werden. Dann steht auch einer besinnlichen Adventszeit nichts im Wege.
(Dieses Interview finden Sie in der Reihe GESUNDHEIT HEUTE auch in der Ausgabe von LIPPE AKTUELL am 4. Dezember 2021.)
Paulinchen e.V.
Paulinchen e.V. berät und begleitet Familien mit brandverletzten Kindern in jeder Phase nach dem Unfall. Ein großes Kompetenznetzwerk steht zur Verfügung, sodass keine Frage rund um die thermische Verletzung im Kindesalter offen bleibt. Ziel ist es, für jedes brandverletzte Kind individuell die bestmögliche Versorgung zu erreichen und präventiv auf Unfallursachen hinzuweisen. Mehr Informationen unter www.paulinchen.de.